Greater London, Epsom

Greater London, Epsom

Mit vollem Einsatz für das Recht zu wählen

England ließ sich bekanntlich schon früh und immer wieder von Frauen auf dem Thron regieren. So auch von 1837 bis 1901 von Queen Victoria.  Die Zeit ihrer langen Regentschaft kennen wir als Viktorianisches Zeitalter. Es steht für den Aufbruch in die moderne Zeit, es steht aber auch für das Festhalten an alten Adel-Zöpfen. Es steht für einen sozialen Kampf auf den Straßen der Großstädte, um mehr Rechte und selbstbestimmtes Leben. Die hart arbeitenden Menschen hatten es satt, in Armut zu verharren und Frauen insbesondere forderten mehr Rechte für ihr Leben ein, etwa das Wahlrecht. Erste Erfolge hatten sich bereits 1869 eingestellt, als Frauen das recht erhielten an Kommunalwahlen teilzunehmen. Bis zur Teilnahme an einer nationalen Wahl, war es aber noch ein sehr langer Weg.

Fokussieren wir uns auf eine einzelne Frau: Emily Wilding Davison, Jahrgang 1872. Sie war die Tochter eines erfolgreichen Kaufmanns, wuchs behütet auf und genoss guten Hausunterricht. Sie durfte gar studieren, zunächst Literaturwissenschaft, später finanzierte sie sich selbst zusätzlich ein Studium der Biologie und Chemie, erreichte am St Hugh‘s College der Universität Oxford einen Abschluss mit Auszeichnung. Doch als Frau hatte sie natürlich nur an einem College für Frauen studiert und dafür gab es trotz bester Leistungen keinen akademischen Grad. Er wurde erreicht, aber eben nicht an Frauen vergeben.

Wozu auch, würden die Männer der damaligen Welt fragen. Emily hatte nur ein bisschen Zeit mit Bildung verplempert, bevor sie dann doch brav ihren vorgezeichneten Weg gehen würde: Hochzeit, Kinder, Häuslichkeit, dem Ehemann gehorchen, kleine Gesellschaften geben, über belangloses Zeug sprechen und sonst Klappe halten. Klappe halten war aber nicht die Stärke von Emily Davison. Sie nutzte ihre Bildung und begann, die Männer dominierte Gesellschaft zu hinterfragen. 1906, Davison arbeitete als Lehrerin, trat sie in die „Women’s Social and Political Union“ ein, die von Emmeline Pankhurst gegründet worden war. Und so landete sie bei der Frauenrechtsbewegung.

1909 gab sie ihre Arbeit auf, um sich voll und ganz für die Belange der Frauen, insbesondere für das Wahlreicht einsetzen zu können. Sie wurde eine Suffragette. Und was für eine.  Mit Herzblut und Leidenschaft, ohne Rücksicht auf ihre eigene Gesundheit hielt sie auch militantes Vorgehen für geeignet, neue Rechte durchzusetzen. Dafür wurde sie insgesamt achtmal inhaftiert. Etwa für Steinewerfen, die Zerstörung von Fensterscheiben, Körperverletzung und das mutwillige Anzünden von Briefkästen.

Im Gefängnis ging es übrigens auch „rund“, denn die Hüter des Gesetzes gingen nicht zimperlich mit den aufmüpfigen Frauen um. Das artete dann auch schnell aus in Misshandlungen verschiedener Art. Die einzige „Waffe“, die die Frauenrechtlerinnen im Gefängnis einsetzen konnten, hieß Hungerstreik bis zur Zwangsernährung. Das schreibt sich so leicht in wenigen Sekunden, doch was das in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts für diese Frauen an körperlichen und seelischen Qualen bedeutete, kann man wohl nur ansatzweise erahnen.

Es ist eigentlich für uns im 21. Jahrhundert unvorstellbar, dass Frauen auf eine solche Weise um Anerkennung, ja um ein Grundrecht kämpfen mussten. Noch einmal: Das, was die Frauen im Gefängnis erduldeten, würde heute wohl sehr viele Verfahren gegen Gefängniswärter nach sich ziehen. Und es trieb Davison zu wohl überlegten Verzweiflungstaten.  Als sie sich einmal in ihrer Zelle verbarrikadierte, um eine Zwangsernährung zu verhindern, setzte der Gefängniswärter ihre Zelle bis zur Decke unter Wasser. Emily drohte dabei zu ertrinken und wurde erst Momente davor erlöst. Einmal stürzte sie sich im Gefängnis eine eiserne Treppe hinunter und erlitt dabei ziemlich schwere Verletzungen. Später begründete sie diese Aktion so: „The idea in my mind was that one big tragedy may save many others.“

Mit dieser Aussage im Hinterkopf wenden wir uns nun dem 4. Juni 1913 zu. Emily Davison war zum großen Epsom-Pferderennen gekommen, zu dem traditionell auch die königliche Familie erschien und auch immer einen Jockey auf einem königlichen Pferd ins Rennen schickte. Davison stand in der langen Kurve, die die Rennstrecke wie ein Hufeisen formte, direkt in erster Reihe. Gerade als das königliche Pferd an drittletzter Position liegend vorbeikam, lief sie auf die Bahn. Es kam zu einer schweren Kollision mit dem im vollen Lauf befindlichen Tier. Das Pferd stürzte, der Jockey landete unsanft auf dem Boden. Und Emily? Sie lag ganz still da. Die beiden letzten Jockeys konnten ausweichen, blieben jeweils im Sattel.

Der Jockey von Anmer erlitt einige, aber nicht lebensgefährliche Verletzungen. Emily hingegen hatte sich schwerste innere Verletzungen zugezogen und war sofort ins Koma gefallen. Ihr Schädel war gebrochen. Ohne noch einmal das Bewusstsein erlangt zu haben, starb sie vier Tage später am 8. Juni. Begraben wurde sie in Northumberland, in Morpeth. Auf ihrem Grabstein ist der Slogan der Suffragetten zu lesen: „Deeds, not Words“ – „Taten, keine Worte“.

Nur wenige Tage später hätte sie ein Grund zur Freude gehabt, denn im Juni 1913 erhielten in Norwegen alle Frauen unabhängig ihres Standes ab dem 25. Lebensjahr uneingeschränktes Wahlrecht. Den Anfang in Europa hatte übrigens 1907 Finnland gemacht, obgleich damals noch als ein von Russland abhängiger Staat. Zum Vergleich, Deutschland und Österreich führten 1918 das gleichberechtigte Wahlrecht für Frauen ein. In den ersten beiden Folgejahren blieben allerdings Prostituierte in Österreich noch vom Wahlrecht ausgeschlossen.

Die letzte Tat von Emily Davison kann tatsächlich im Original angeschaut werden, etwa auf „youtube“. Das Rennen von 1913 wurde nämlich erstmalig mit Kameras festgehalten. Ob sie das gewusst hat?  Wollte sie sterben oder willentlich ihren Körper zerstören, nur um das Wahlrecht für Frauen zu sichern? Nahm sie dabei auch Verletzungen oder Schlimmeres für den Jockey und das Pferd in Kauf? Oder ging ihre Aktion nur schief?

Jockey Herbert Jones war nicht irgendein Jockey, er war ein äußerst erfolgreicher und bekannter Jockey. Auf jeden Fall betrat sie die Bahn aus freien Stücken, sie soll sogar dabei noch etwas gerufen haben. Nähere Studien des Filmmaterials legen nahe, dass sie das Pferd nicht zu Fall bringen wollte, sie wollte dem königlichen Pferd eher nur Fahnen mit Botschaften für ein Wahlrecht anheften. Dafür spricht auch, dass sie eine Rückfahrtkarte in der Handtasche für den Tag gehabt hat, am selben Abend an einer Versammlung von Suffragetten teilnehmen wollte und Pläne für einen nahen Urlaub geschmiedet hatte.

Was sie auch am 4. Juni 1913 im Sinn hatte, die Öffentlichkeit sympathisierte zunächst nach der Kollision nicht mit Emily, sondern mit dem Jockey und dem Pferd. Erreichte Davison also das Gegenteil? Es gab schon Leute, die sich für die Sache der Suffragetten erwärmt hatten, sich aber durch diesen Vorfall wieder abwendeten. Ihre Aktion wurde in der Presse als Tat einer „mentally ill fanatic“ abgetan. Allerdings sprach die sehr große Zahl der Teilnehmer am Begräbnis der Suffragette eine ganz andere Sprache.

Wie dem auch sei, ein Jahr später brach der Erste Weltkrieg aus und die Sache der Suffragetten rückte in den Hintergrund. So dauerte es noch bis 1928 bis Frauen das gleiche Wahlrecht erhielten wie Männer. 1918 erhielten immerhin Frauen, die über eine gewisse Bildung verfügten oder Ehemänner hatten, die für sie Steuern zahlten, ab 30 Jahren Wahlrecht.

Herbert Jones lebte bis 1951. Als 70-Jähriger setzte er seinem Leben kurz nach dem Tod seiner Frau selbst ein Ende. 1928 war übrigens auch das Todesjahr von der führenden Suffragette Emmeline Pankhurst. Jones legte einen Kranz auf ihrem Grab nieder, um sie und tatsächlich auch Emily Davison zu ehren. Der Tod von Emily hatte ihn nie mehr losgelassen. So sagte er einmal, er sei „haunted by that poor woman’s face“.

 Und Anmer? Das Rennpferd des Königs beendete das Rennen ohne Jockey. Das Pferd überlebte also unbeschadet den Sturz und wurde als Deckhengst nach Kanada verschifft.

Quellen: 

www.historic-uk.com Ben Johnson: Emily Davison, Death at the Derby

The Guardian: Truth behind the death of suffragette Emily Davison is finally revealed, 2013

Horse Canada: www.horse-canada.com/horses-and-history/update-anmer-king-george-vs-horse-sent-in-canada

www.emma.de Artikel von Chantal Louis: “Der Sieg der Emily Davison“, 2016

www.fembio.org Frauen. Biographien-Forschung „Emily Davison“

Wikipedia

Fotos: London. Eingeklinktes Foto zeigt ein Porträt von Emily Davison, Wikimedia Commons

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