London – Soho

London – Soho

Die Strafe Gottes oder nur ein menschlicher Fehler?

Geht es um Überlebensstrategien steht ganz zwangsläufig Frischwasser an erster Stelle. Ohne Trinkwasser können die Stunden gezählt werden. Das gilt mitunter auch, wenn man seinem Körper nur verunreinigtes Wasser zuführt. Im schönen Monat September im Jahre 1854 starben mitten in London, genauer gesagt in Soho mehr als 500 Menschen an einer Cholera-Infektion. Für den Geistlichen Henry Whitehead, Vicar of St Luke’s Church in der nahen Berwick Street, gab es dafür nur eine Erklärung: Die Unglücklichen wurden Opfer eines göttlichen Eingriffs. Wir wollen mal unbeachtet lassen, wie der Lebenswandel in Soho Mitte des 19. Jahrhunderts zu bewerten war, aber lassen wir es mal nicht unbeachtet, dass diese Aussage, die aus dem finstersten Mittelalter stammen könnte, tatsächlich 1854 getätigt wurde. Alle Achtung.

Eine göttliche Fügung war es dann wohl eher, dass am Soho Square ein Mann lebte, der zwei und zwei zusammenzählen konnte und die Augen nicht vor dem verschloss, was sich auf Sohos Straßen tagtäglich abspielte. Dort wurde Vieh gekauft und geschlachtet. Es kamen tausende Menschen zusammen, die auch irgendwo ihre Notdurft erledigen mussten, es gab dort Jauchegruben, die so alt wie die Häuser waren. Und es gab keine moderne Wasserversorgung, sprich die strikte Trennung von Frisch- und Schmutzwasser.

Das Schmutzwasser wurde gerne mal der Themse zugeleitet, immer wieder auch in groß angelegten Aktionen. Dabei wurde offensichtlich nicht daran gedacht, dass vielleicht Straßen-Trinkwasserbrunnen irgendwann einmal einen Schaden erleiden könnten…

Dieser Mann namens John Snow, war ein Doktor mit Weitsicht. Schnell fiel ihm eine Trinkwasserpumpe auf der Straße auf, die er auch sehr schnell für den Auslöser der Krankheit hielt. Und noch etwas fiel ihm auf: Die Arbeiter der nahen Brauerei zählten keine Todesopfer in ihren Reihen. Sie durften ihren Durst stets mit Freibier stillen, hatten also keinen Anlass, zur Straßenpumpe zu gehen, um dort etwas zu trinken. Gehör konnte sich der Doktor offenbar nicht verschaffen, so dass noch einige Tage vergingen, ehe er für Fakten sorgte: Er nahm den Griff der Wasserpumpe ab, so dass dort niemand mehr Wasser schöpfen konnte. Und siehe da, es gab keinen Cholera-Toten mehr.

Jetzt noch einmal ein Wort zur göttlichen Fügung: Dr. John Snow war kein normaler Arzt. Er war ein forschender Arzt mit hohem Bekanntheitsgrad. Eines seiner Spezialgebiete war ausgerechnet die Bekämpfung von Cholera. Zudem gehörte er zum Zirkel jener Menschen, die die Narkose entwickelten. Snow experimentierte mit Äther und Chloroform. Er nahm erste vorhandene Ergebnisse auf und entwickelte sie rasch und sehr erfolgreich weiter. Dabei unternahm er nicht nur Tierversuche, sondern probierte die Dosierungen eines Narkosemittels an sich selbst aus, um die Wirkung besser verstehen zu können. So galt er schnell als erster Spezialist für Anästhesie. Leider war ihm selbst kein allzu langes Leben gegeben. Er starb nur vier Jahre nach diesem Vorfall in Soho an einem Herzinfarkt im Alter von nur 45 Jahren.

So, und jetzt noch einmal zu Vicar Henry Whitehead. Bei ihm handelt es sich keineswegs um einen Ewiggestrigen, im Mittelalter verfangenen Geistlichen. Er mag diese oben erwähnte Äußerung irgendwann in den ersten Tagen des Cholera-Ausbruchs gemacht haben, aber zum einen ließ er sich von Snow davon überzeugen, dass der Brunnen die Ursache ist, zum anderen kümmerte er sich unglaublich aufopfernd um die Angehörigen der Toten und auch noch um Sterbende selbst. Er verschanzte sich nicht in seiner Kirche, sondern ging dorthin, wo das Leid am Größten war, in die Haushalte derer, die oftmals alle daran starben oder mehrere geliebte Menschen binnen weniger Tage verloren hatten. Die ganze Sache wurde von ihm nicht nur selbst aufgeschrieben, er stellte gar noch ein Jahr später Untersuchungen an, nur um immer wieder das Ergebnis bestätigt zu sehen, dass ausnahmslos alle Cholera-Toten, auch aus dem weiteren Umkreis, ab Ende August aus diesem einen Brunnen getrunken hatten. Whitehead pries noch nach Dr. Snows Tod dessen Verdienste in dieser Sache.

PS: An der Ecke Broadwick Street und Poland Street unweit der Oxfordstreet ist seit 1992 eine schwarze eiserne Pumpe samt Plakette montiert, die an diese Geschichte und die Opfer von 1854 erinnern soll.

Quellen:

Rachel Howard and Bill Nash: “Secret London, an unusual Guide”, 2010.

Internet:

Dr. Alfred Jay Bollet: “Plagues & Poxes: The Impact of Human History on Epidemic Disease”

The Reverend Henry Whitehead: „The Broad Street Pump: An Episode in the Cholera Epidemic of 1854”, in Macmillan’s Magazine, Volume XIII, Nov. 1865 – Apr. 1886, pp. 113–122.

Wikipedia

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