Romney Marsh

Romney Marsh

Das ewige “Spiel” Schmuggler und Grenzer

Das kleine Nest Aldington liegt ganz unschuldig von Hythe zwölf Kilometer landeinwärts entfernt am äußersten Rand von Romney Marsh. Es bildete das Basislager der großen Schmuggler-Gang, die sich in der Zeit der napoleonischen Kriege in Kent entwickelte und dann 1820 bis 1826 ihre bedeutungsvollste Zeit hatte.

Die beiden Leader, deren Namen noch heute jeder in der Gegend kennt, waren Cephas Quested, der Mann, der ein Irrtum mit seinem Leben bezahlte, und ein gewisser George Ransley, der die führungslose Gang nach Quested übernahm. Beide stammten direkt aus Aldington und machten jeweils das Walnut Tree Inn zum Headquarter der Gang, die den ganzen Küstenstrich bis nach Dover kontrollierte. Ransley war ein Mann mit vielen mitunter auch fragwürdigen Verbindungen. In der Schmugglerszene kannte er sich aus wie in seiner Westentasche. Seine Frau Elisabeth Bailey kam auch aus einer Schmugglerfamilie.

So wie sich heutzutage englische Fußballfans vor einem Match gerne in einem Pub warm trinken, trafen sich die Schmuggler seinerzeit im Walnut Tree Inn, um dann gemeinsam zur nächsten geheimen Ladungslöschung an die Küste zu wandern. Dabei ging es keineswegs wild zu, sondern ganz diszipliniert, routiniert und immer nach einem festen Plan. Bewaffnete schirmten die Ladungslöscher von möglichen Gefahren ab und begleiteten sie, bis die Waren in den jeweiligen geheimen Lagern sicher verstaut waren.

In der Regel profitierten alle von der Arbeit der Schmuggler. Beamte ließen sich gerne schmieren und genossen lieber zu Hause ein gutes Gläschen Wein aus Frankreich als sich auf Patrouille die Schuhe schmutzig zu machen. Und doch durfte sich die Gang nie zu sicher sein, ihre Arbeit blieb ein illegales Treiben, das jederzeit zur Anzeige gebracht werden konnte. Verräter konnten auch aus ihren eigenen Reihen kommen, erst recht, wenn es alte Rechnungen zu begleichen galt.

Einige Mitglieder der Gang waren auf Dauer gesehen nicht mehr wirklich zu kontrollieren. Wohl aus Übermut und einem überschätzten Sicherheitsgefühl heraus begannen einige, weit über die Stränge zu schlagen. Ihr Auftreten wurde immer unfreundlicher, regelrecht unverschämt. Sie begannen sogar damit, in die Häuser der normalen Leute einzubrechen, um ihnen das wenige Wertvolle was sie hatten, gewaltsam zu nehmen.

Als dann ein allgemein sehr anerkannter und gemochter Officer der so genannten Blockade Men, die den Auftrag hatten, Schmuggel zu unterbinden, im Einsatz von Mitgliedern der Gang getötet wurde, war‘s  mit dem friedlichen Grenzer- und-Schmuggler-Spiel aus. Zunächst gingen den lokalen Behörden zwei Gangmitglieder ins Netz. Und diese fackelten nicht lange und verrieten als Kronzeugen ihre Kollegen, um ihr eigenes Leben zu retten So wurde der Dienstag, 17. Oktober, 1826 für George Ransley zum Schicksalstag: 120 Männer marschierten an diesem Tag in Aldington auf und nahmen ihn und sechs weitere Männer gefangen. Alle wurden in Handschellen gelegt und abgeführt. In den folgenden Tagen wurden noch weitere Gang-Mitglieder festgenommen.

Der erste Prozess in Maidstone sah keine Gnade vor, 14 Schmuggler, darunter auch Ransley, sollten ihr Leben für das des beliebten Officers geben.

Doch unterhielt Ransley wie eingangs erwähnt viele Kontakte, auch beste Kontakte in andere „Welten“. So engagierte er einen guten Anwalt, der ihnen insofern das Leben zurückgab, als dass die Todesurteile umgewandelt wurden. Die Schmuggler wurden in die neuen Länder der britischen Krone verschifft, wo sie in Straflagern mithelfen sollten, Infrastruktur nach britischem Vorbild herzustellen. Die Destination der 14 Schmuggler  lautete Van Diemen’s Land. Heute besser bekannt unter dem Namen Tasmanien – das kleine Ländchen noch unter Downunder, also am absoluten Ende der Welt.

Wie sich Ransley wohl gefühlt haben mag? Glücklich, mit dem Leben davon gekommen zu sein oder verzweifelt, ob der ungewissen Zukunft? England sollte er jedenfalls nie mehr wiedersehen, wohl aber seine Frau Elisabeth. Ransley erwarb sich nämlich in seiner neuen „Pflicht“-Heimat einen guten Ruf, arbeitete verlässlich und gut, so dass er seinen großen Wunsch erfüllt bekam, und seine Familie ihm nachreisen durfte. Von seinen zehn Kindern überlebte nur eines nicht die lange Schiffsreise. Mit den übrigen Familienmitgliedern verbrachte er ein zufriedenes Leben in Tasmanien, denn nach angemessener Zeit erhielt er gar ein Pardon und durfte sich als freier Farmer eine eigene Zukunft erarbeiten. Er starb 1856 als angesehener und allseits sehr gemochter Mensch.

Noch heute leben in Tasmanien Nachfahren jener Schmuggler, die einst an Kents Küste lebten und dann verschifft wurden.

Und Aldington? Die Schmuggler sind dort nicht vergessen. Sie bleiben Teil des Dorfes, allgegenwärtig  – besonders nachts, wenn die Wolken den Mond verdecken, der Regen gegen die Hauswände klatscht, der Wind um die Ecken heult, in den Häusern das Licht gelöscht wird und durch die nasse Scheibe nur ein kleiner wild schaukelnder Feuerschein irgendwo weit draußen im Marschland zu sehen ist. Dann meint man, sie schemenhaft auszumachen, George Ransleys wagemutige Männer.

 Wer die Nachschau zur eigenen Beruhigung scheut und sich lieber im Warmen aufhält, kann natürlich auch im alten Headquarter Walnut Tree Inn bleiben und dort ganz legal jenes lokale Ale trinken, mit dem sich seinerzeit schon die Schmuggler ihre Kehlen spülten. Dazu einfach ein gutes Essen genießen und sich ganz tief im Verborgenen dabei wie ein Mitglied der berüchtigten Schmugglerband fühlen.

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