Temple Ewell
Ein königlicher Bittgang mit Kniefall
Wer von uns vermag zu sagen, wie bitter es ist, einen Bittgang machen zu müssen. Was muss wohl ein Mann fühlen, der es gewohnt ist, dass alle nach seiner Pfeife tanzen, wenn er sich plötzlich reuig und demütig zeigen muss, um das zu retten, was er auf den Kopf trägt, nämlich die englische Krone? Im Jahr 1213 reiste kein Geringerer als King John (ja, der, der in Robin-Hood-Filmen so gerne lächerlich gemacht wird) nach Kent, in das kleine Örtchen Temple Ewell, direkt nördlich von Dover. Er reiste dorthin, um Abbitte zu leisten und sich dem Papst zu unterwerfen. Der hatte ihn zuvor aus der Kirche hinausgeworfen. Auch wenn nicht gesichert ist, wo John seinen Kniefall vollzog, ist die Kirche, deren Anfänge bis in das Jahr 1163 zurückgehen, ein guter Ort, um sich das einmalige Ereignis vorzustellen.
Was hatte John bloß angestellt, um den Papst so erzürnt zu haben? Mit seinem Selbstbewusstsein kann es jedenfalls nicht weit her gewesen sein. Da war ein Henry VIII aus anderem Holz, der bekanntlich nach päpstlich verweigerter Scheidung und Wiedervermählung kurzerhand aus der Kirche austrat und eine eigene gründete. Gut, gut, das war mehr als 300 Jahre später in einer anderen Zeit, also wollen wir mal nicht so hart mit John ins Gericht gehen. Also was war der Grund? Ganz einfach: King John brachte es nicht über sich, einen gewissen Stephen Langton als Erzbischof zu akzeptieren.
Großer Fehler. Denn Papst Innocent III ließ als Stellvertreter Gottes auf Erden nicht mit sich handeln. Und John musste erkennen, dass er in diesem Machtpoker kein As mehr im Ärmel hatte. Der Bittgang des Königs nach Temple Ewell ist überraschenderweise weitgehend unbekannt, wie auch die Tatsache, dass sich John nur wenig später tausendmal selbst für diesen Kniefall auf die Schulter klopfen durfte. Denn im ewigen Kampf um den Erhalt der Krone hatten sich einige Barone des Landes dazu herabgelassen, den ihnen verhassten John mit Hilfe von Louis Capet, dem Sohn von König Philip von Frankreich, abzusetzen. Warum? Weil der listige John schon wieder wortbrüchig geworden war, nachdem er ein Jahr zuvor mit viel Tamtam die berühmte “Magna Carta” unterschrieben hatte, die den Baronen mehr Einfluss garantieren sollte.
Und soll man es glauben, dieser Louis Capet kam 1216 tatsächlich nach England, zog in London ein, nahm den White Tower am Tower sowie den Westminster Palace ein und ließ sich von seiner Armee zum neuen König von England ausrufen. Doch hatte auch Louis Capet nicht mit der Macht des Papstes gerechnet, der ihn für diesen Gewaltakt gegen einen „christlichen“ König schlichtweg exkommunizierte und wieder zurück nach Frankreich schickte. Und John? John saß fester im Sattel als je zuvor. Denn wenn die Engländer eins mehr hassten als ihre eigenen Könige, dann die Vorstellung, von einem Festland-Flegel regiert zu werden.
Nun, die englischen Untertanen hatten allen Grund, John zu hassen, der alles, nur kein christlicher König war. Nein, er war richtig gemein und gnadenlos. Viel schlimmer als es jegliche Darstellung in Robin-Hood Erzählungen erahnen lässt. Eine Spezialität von ihm war es, die Frauen, Schwestern und Töchter wohlhabender Männer zum Beischlaf zu zwingen, um die gehörnten Ehemänner oder gedemütigten Väter oder Brüder dann ordentlich abzukassieren, die natürlich alles für den Ruf ihrer Familie taten. Die Liebhaber seiner eigenen Frau Isabella of Angoulême ließ er indessen schlicht töten und über ihrem Bett aufhängen. Ja, so einer war er.
Auch mit dem Sohn seines bereits verstorbenen Bruders Geoffrey, Arthur, ging er nicht zimperlich um. Einmal ihn in Frankreich eingefangen, wollte er ihn blenden und kastrieren lassen, entschied sich dann aber doch für die ganz sichere Variante des Ausschaltens von Thron-Konkurrenten und ließ ihn töten. Ach King Richard hättest du bei deinem kurzen Besuch in England mal genauer hingeschaut und deinen Bruder John nicht so halbherzig abgestraft, sondern gleich aus der Thronfolge ausgeschlossen…
Aber halt, es gab dann doch noch so etwas wie Gerechtigkeit für die Untertanen. Kaum, dass das Kapitel Louis Capet abgeschlossen war, schlossen sich auch King Johns Augen. Noch ganz im Bürgerkriegsmodus verstarb er plötzlich und unerwartet – das mag angesichts der vielen persönlichen Feinde glauben wer will – am 18. Oktober 1216.
Quellen: Brenda Ralph Lewis: “A Dark History The Kings and Queens of England – 1066 to the present Day”, Amber Book Ltd, 2005.
G.S.P.Freeman-Grenville “Book of the Kings and Queens of Britain,Wordsworth Reference, 1997.
Internet: Wikipedia Temple Ewell